Christoph Müller hat das DRK-Regional-Büro in Nairobi geleitet und kennt die Situation in Ostafrika aus eigener Erfahrung. Im Interview berichtet er von seinen Eindrücken und der Arbeit des Roten Kreuzes.
DRK.de: Wie ist die Situation derzeit in Somalia?
Die Lage in Südsomalia ist nach wie vor sehr angespannt, weil große Bevölkerungsgruppen aus dem Konfliktgebiet in den Westen nach Kenia und Äthiopien fliehen. Durch die Dürrekatastrophe sind die Menschen zusätzlich in ihren Existenzgrundlagen bedroht. In Somalia sind drei Millionen Menschen betroffen, die dringend humanitärer Hilfe bedürfen.
DRK.de: Wie hilft das Rote Kreuz in Somalia?
In Südsomalia unterhält der Somalische Rote Halbmond über 20 Notverpflegungszentren vor allem für Frauen und Kinder. Es gibt eine große Anzahl mobiler Kliniken, um die Menschen auf der Flucht medizinisch zu versorgen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz betreibt ein sehr wichtiges Krankenhaus in Mogadischu, wo vor allem Kriegsverletzte behandelt werden. Es gibt drei orthopädische Rehabilitationszentren in Somalia, wo auch Kriegs- und Minenopfer behandelt werden und im Norden eine Reihe stationärer Gesundheitsstationen. Zudem gibt es in Somaliland eine Reihe erfolgreicher Trinkwasserprojekte. Das sind teils solar- und auch windbetriebene Brunnen, die von Nomaden aber auch von der sesshaften Bauern-Bevölkerung genutzt werden. Wir sind schon über zwölf Jahre in Nord-Somalia aktiv. In der aktuellen Situation wird die Nothilfe natürlich aufgestockt. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat seit April 2011 in Süd –und Zentral Somalia sauberes Trinkwasser für mehr als 400.000 Menschen in Süd-und Zentral bereitgestellt und leistet Lebensmittelhilfe.
DRK.de: Wer ist von der Krise am meisten betroffen?
Das sind Frauen, kleine Kinder und natürlich ältere gebrechliche Menschen, die diese lange strapaziöse Reise zu Fuß, auf der Ochsenkarre oder überladenen LKWs nicht verkraften.
DRK.de: Wie lange wird die Krise voraussichtlich noch andauern?
Wir rechnen damit, dass diese massive humanitäre Krise noch ein halbes Jahr anhalten wird, weil die Wasser- und die Lebensmittelvorräte einfach total aufgebraucht sind. Deshalb wird es einige Zeit brauchen, bis sich die Situation entspannt. Deswegen ist zunächst die Versorgung mit Lebensmitteln und sauberem Trinkwasser wichtig, aber auch die medikamentöse Versorgung. Der zweite Schwerpunkt ist, jetzt schon, die organisatorischen und personellen Kapazitäten im Bereich des Katastrophenschutzes zu verbessern. Dazu gehört auch der Aufbau von Frühwarnsystemen durch nationale Behörden in Kooperation mit den afrikanischen Rotkreuz- und Rothalbmond Gesellschaften.
DRK.de: Wie sieht ein Frühwarnsystem für eine Dürrekatastrophe aus?
Bei einem solchen Frühwarnsystem müssen Einrichtungen der Wettervorhersage, der Landwirtschaft, des Gesundheitswesens eng mit nationalen und internationalen Hilfsorganisationen kooperieren. Informationen über globale und regionale Wetterprognosen müssen aufbereitet und dann an die betroffene Bevölkerung in Risikogebieten vermittelt werden. Da kommen dann das Rote Kreuz und der Rote Halbmond ins Spiel. Die Information über bevorstehende extreme Trockenzeiten müssen rechtzeitig an Nomaden vermittelt werden, damit sie sich rechtzeitig auf die Wanderung machen können oder ihre Wasserbevorratung entsprechend organisieren.
DRK.de: Welche Hilfe leistet das Rote Kreuz in Kenia?
In Kenia führt das Rote Kreuz Schulspeisungen durch, die dazu beitragen, einer unkontrollierten Migration und der Mangelernährung vorzubeugen. Denn die Kinder werden direkt vor Ort versorgt. Das animiert die Eltern dazu, ihre Kinder weiterhin in die Schule zu schicken und Mütter bekommen mehr Freiräume, die sie dazu nutzen , sich um Wasser, die eigene Gesundheit und die Viehherden zu kümmern .
DRK.de: Welche Erlebnisse haben Sie während Ihrer Zeit in Ostafrika als positiv empfunden?
Es ist immer schön, zu spüren wie froh und dankbar die Menschen über die Unterstützung sind und wie sich die Projekte praktisch auswirken. An der Küste Kenias haben die funktionierenden Brunnen dazu geführt, dass die Infektionskrankheiten wie Cholera zurückgegangen sind und die Kinder insgesamt viel gesünder wurden. Sehr bewegt haben mich auch einige Zusammentreffen mit Kindern, die ein Bein durch Minen-Unfälle in Somalia verloren haben und trotzdem voller Lebensfreude sind und anderen Kindern helfen. Sehr beeindruckend finde ich auch das starke Engagement Rotkreuz- und Rothalbmond-Freiwilligen in Somalia. Die sind unglaublich motiviert und engagiert und das in einem der ärmsten Länder der Welt, in dem sie selbst nur ganz eingeschränkte Zukunftsperspektiven haben.
DRK.de: Wie gehen Sie mit den vielen schwierigen und traurigen Situationen um, die sie in so einer Krise erleben?
Wenn man soviel geballtes Leid sieht, geht einem das natürlich unter die Haut. Es ist wichtig, die richtige emotionale Rückendeckung zu haben. Man braucht funktionierende Teams in denen darüber gesprochen werden kann. Bei der Führung der Mitarbeiter müssen wir auf entsprechende Auszeiten achten. Für mich ist es auch wichtig, eine funktionierende private Beziehung zu haben, um den Stress aufzufangen.