Als Auslöser des bewaffneten Konflikts in Syrien werden vielfach Proteste im Rahmen des sogenannten Arabischen Frühlings, der Anfang 2011 Syrien erreichte, genannt. Dabei wurde im Land eine Schwelle der Gewalt überschritten, die nicht mehr als sogenannte „innere Unruhen und Spannungen“ bezeichnet werden kann. Diese Schwellengrenze verläuft fließend. Da sich in diesem Konflikt der syrische Staat und nicht-staatliche Gewaltakteure bzw. solche Akteure gegenseitig bekämpfen, handelt es sich um einen sogenannten nicht-internationalen bewaffneten Konflikt. Hierauf findet das humanitäre Völkerrecht Anwendung. Im Fall von Syrien insbesondere der Gemeinsame Artikel 3 der Genfer Abkommen I-IV von 1949 und völkergewohnheitsrechtliche Regelungen. Darin ist festgehalten, dass das humanitäre Völkerrecht sämtliche Konfliktparteien gleichermaßen bindet – also auch nicht-staatliche Gewaltakteure.
Ein Kernanliegen des humanitären Völkerrechts ist es, die militärische Notwendigkeit in einem bewaffneten Konflikt abzuwägen gegen die Menschlichkeit. Es geht also nicht darum, einen Krieg grundsätzlich zu verhindern, sondern darum, das Verhalten der Konfliktparteien so zu regeln und zu begrenzen, dass auch im Krieg ein Mindestmaß an Humanität gewährleistet wird. Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgt das humanitäre Völkerrecht im Wesentlichen zwei Wege: zum einen schützt es diejenigen Individuen oder Personengruppen, die sich nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten beteiligen; zum anderen schränkt es die Wahl der Mittel und Methoden der Kriegführung ein.
Um den Schutz der an den Kampfhandlungen nicht unmittelbar Beteiligten zu gewährleisten, müssen die Konfliktparteien in ihren Angriffen jederzeit zwischen rechtlich geschützten Personen und Kämpfenden unterscheiden. Zivilpersonen sind nach dem humanitären Völkerrecht grundsätzlich geschützt; entsprechendes gilt für humanitäres und medizinisches Personal. Allerdings verliert eine Person ihren rechtlichen Schutz vor direkten Angriffen, sofern und solange sie unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt. Dies gilt auch, wenn sie in einer bewaffneten Gruppe eine dauerhafte Kampffunktion innehat.
Der Unterscheidungsgrundsatz gilt auch mit Blick auf Objekte. Die Konfliktparteien müssen in ihren Angriffen jederzeit zwischen zivilen Objekten und solchen Objekten, die zulässige militärische Ziele darstellen, unterscheiden. Beispielsweise darf ein ziviles Wohnhaus, wie dies in Homs und an vielen anderen Orten in Syrien geschehen ist, grundsätzlich nicht angegriffen werden. Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn das Gebäude durch seine Beschaffenheit, seinen Standort, seine Zweckbestimmung oder seine Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beiträgt und die Zerstörung zum betreffenden Zeitpunkt einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt. Wenn also beispielsweise das Wohnhaus als Waffenlager benutzt wird oder Kämpfende es als Kampfbasis nutzen, verliert das Gebäude während dieser Zeit seinen Schutz vor direkten Angriffen. Außerdem muss vor jedem Angriff abgewogen werden, ob der durch die Zerstörung des Gebäudes angerichtete Schaden unverhältnismäßig (exzessiv) erscheint im Vergleich mit dem erwarteten konkreten militärischen Vorteil.
Die größte Herausforderung, der sich das humanitäre Völkerrecht derzeit gegenübersieht – in Syrien ebenso wie in anderen Konfliktregionen – ist nicht, dass es für die Situation des bewaffneten Konflikts ungenügende Regeln bereithalten würde. Vielmehr werden die existierenden Regeln von den Konfliktparteien oftmals nicht eingehalten. Diese Einhaltung der Regeln durch die Konfliktparteien zu verbessern, hat sich die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung zum Ziel gesetzt. In einem noch andauernden Prozess beraten wir mit der internationalen Staatengemeinschaft, wie dies gelingen kann.
Denn das humanitäre Völkerrecht kann nur wirksam schützen, wenn seine Regeln von allen am Konflikt Beteiligten eingehalten werden. Dies gilt in Syrien und in jedem anderen bewaffneten Konflikt. Helfen Sie uns mit einer Spende damit wir auch weiterhin über das humanitäre Völkerrecht aufklären und für die Einhaltung arbeiten können.