Web-Seminar: Der Rechtsrahmen der humanitären Hilfe im bewaffneten Konflikt

Frau Dr. Heike Spieker, Völkerrechtsexpertin und Leiterin des Teams „Internationales Recht und internationale politische Beziehungen“ im DRK-Generalsekretariat, gibt einen Überblick über die Regeln des humanitären Völkerrechts, die beim Leisten von humanitärer Hilfe in bewaffneten Konflikten anwendbar sind.


Interview: Hilfe weltweit! Christof Johnen zur humanitären Hilfe des Deutschen Roten Kreuzes

Christof Johnen, Leiter des Teams "Internationale Zusammenarbeit" im DRK-Generalsekretariat, gibt einen Einblick in den Ablauf, die Ausrichtungen und die Herausforderungen der weltweiten humanitären Hilfe des DRK.

Was versteht das DRK unter humanitärer Hilfe und wie ist die Hilfeleistung aufgebaut? 

Humanitäre Hilfe des Deutschen Roten Kreuzes und der Rotkreuz- Rothalbmond-Bewegung insgesamt folgt immer den sieben Grundsätzen der Bewegung. Sie ist strikt bedarfsorientiert, basiert auf eigenen Erhebungen und richtet sich immer an den meistbedürftigen Menschen aus.

Wo und in welchem Umfang leistet das DRK humanitäre Hilfe?

In den vergangenen fünf bis sechs Jahren hat eine deutliche Verlagerung der humanitären Hilfe in die aktuellen großen Krisenregionen der Welt stattgefunden. Das sind vor allem der Nahe und Mittlere Osten, Nordafrika, das Horn von Afrika und Ostafrika. Darüber hinaus haben wir lange Partnerschaften mit Schwestergesellschaften in Asien, Lateinamerika und Europa. Aber der Schwerpunkt unserer humanitären Hilfe liegt ganz klar auf den Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens (Syrien, Libanon, Irak, Türkei, Jemen, Ägypten, Libyen) sowie Ostafrika (Somalia, Sudan, Südsudan, Uganda).

Das DRK ist Teil der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung.Welche Bedeutung haben die Grundsätze der Bewegung für das Leisten von humanitärer Hilfe?

Für das Rote Kreuz sind diese Grundsätze essentiell und es ist wichtiger denn je, unsere humanitäre Hilfe daran auszurichten. Obwohl die ersten vier Grundsätze der Bewegung in ähnlicher Formulierung als „humanitäre Prinzipien“ von der Mehrheit der humanitären Akteure übernommen wurde, gibt es Tendenzen, diese Grundsätze in Frage zu stellen, sowohl von politischer Seite als auch durch die Konfliktparteien und sogenannte neue humanitäre Akteure. Nehmen wir als Beispiel die Neutralität. Sie ist sozusagen Mittel zum Zweck, um unparteiliche Hilfe leisten zu können. Die Schwierigkeit, den Grundsatz der Neutralität zu wahren, wird allerdings dann deutlich, wenn zunehmend lokale Akteure eine wichtigere Rolle einnehmen. In der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung sind dies die Freiwilligen der Schwestergesellschaften, beispielsweise in Syrien und Jemen. Diese Freiwilligen leben in den betroffenen Gesellschaften und sind daher häufig selbst sehr stark vom Konflikt betroffen. Neutralität zu wahren ist für sie eine große Herausforderung und sie leisten dabei Enormes. Wir versuchen, sie dabei soweit wie möglich zu unterstützen. Aber auch der Grundsatz der Unparteilichkeit ist unabdingbar für unsere humanitäre Hilfe. Die Ausrichtung an dem „Maß der Not“ ist ein humanitäres Konzept, das sich nicht nach politischer Meinung, religiösem Glauben oder Ethnie ausrichtet, sondern nur danach, ob und wie sehr jemand in Not ist. Dabei müssen wir auch darauf achten, dass humanitäre Hilfe nicht politisch instrumentalisiert wird. Denn in vielen Konflikten gibt es nicht den Willen oder die Bereitschaft zu einer politischen Lösung bzw. Einigung und dann besteht die Gefahr, dass man sich humanitärer Hilfe bedient, um politische Ziele zu erreichen oder humanitäre Hilfe als Ersatz für politisches Handeln instrumentalisiert wird.

Inwiefern ist die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung für das weltweite Leisten von humanitärer Hilfe besonders wichtig?

Die Bedeutung der humanitären Hilfe der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung zeigt sich gerade in den bewaffneten Konflikten neueren Typus, z.B. in Syrien oder im Jemen. Konflikte, in die unzählige Akteure verwickelt sind und in denen der Zugang zu Hilfsbedürftigen für Außenstehende häufig unmöglich wird. Da spielen lokale Akteure, freiwillige Helfer des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds, aber auch andere lokale Initiativen, eine immer größere Rolle. Sie sind häufig diejenigen, die den besten, oftmals auch einzigen Zugang zu den Menschen in Not haben. Wir haben als Rotkreuz-und Rothalbmond-Bewegung in unserer Verfasstheit etwas, was keine andere Institution weltweit hat. Wir haben mit unseren Schwestergesellschaften und ihren lokalen Strukturen immer direkte Ansprechpartner und Handlungsmöglichkeiten vor Ort. Gleichzeitig sind die Komponenten der Bewegung völkerrechtlich anerkannt und kooperieren erfolgreich auf internationaler Ebene. Diese Komplementarität von wirklich stark lokalisierter humanitärer Hilfe und internationaler humanitärer Hilfe ist einzigartig. Dennoch geht es uns nicht darum, mit anderen Organisationen oder den Vereinten Nationen zu konkurrieren, sondern unsere einzigartige Ausgangslage dazu zu nutzen, Menschen und Regionen zu erreichen, die ansonsten keine Hilfen erhalten. Und das gelingt uns häufig sehr gut.

Warum ist es so wichtig, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit getrennt zu betrachten?

Im Grunde geht es weniger darum, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zu trennen, als ihre verschiedenen Ziele zu unterscheiden. Mit Entwicklungszusammenarbeit soll Einfluss genommen werden auf eine Situation und ein Geschehen vor Ort (das politische System, die wirtschaftliche Lage, die Schulbildung o.a.) Entwicklungszusammenarbeit ist politisch, dies ist legitim und nachvollziehbar. Humanitäre Hilfe hat aber ein ganz anderes Ziel. Sie will schlicht und ergreifend nach dem Maß der Not helfen und unterstützt damit mitunter auch Menschen und Gruppierungen, die gegen die eigenen Werte (z.B. Demokratie oder Schulbildung für alle) stehen mögen. In der Vergangenheit hat man häufig gesagt, humanitäre Hilfe ist kurzfristig angelegt, Entwicklungszusammenarbeit langfristig. Die heutigen bewaffneten Konflikte dauern alle sehr lange an. Die großen Operationen des IKRK erstrecken sich schon über mehr als drei Jahrzehnte. Das heißt, anhand der Dauer eines Einsatzes kann man humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr unterscheiden. Auch kann humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr allein anhand von Methoden unterschieden werden. Denn die humanitäre Hilfe bedient sich heute oft Methoden, die ursprünglich nur in der Entwicklungsarbeit eingesetzt wurden, z.B. hinsichtlich der Wiederherstellung von Infrastrukturen wie in der Wasserversorgung. Entscheidend bleibt daher die Unterscheidung der Zielstellung.

Welche sind aktuelle Herausforderungen und Probleme im Bereich der humani-tären Hilfe und was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Voraussetzungen, um die Arbeit von Hilfsorganisationen auch in Zukunft zu gewährleisten?

Der Zugang zu Menschen ist definitiv eine der großen Herausforderungen der humanitären Hilfe, weil das Abschneiden einer Bevölkerungsgruppe von Versorgungsleistungen zunehmend zu einem Charakteristikum aktueller bewaffneter Auseinandersetzungen geworden ist. Der gesamte Syrien-Konflikt war und ist in höchstem Maße durch militärische Belagerungen geprägt. Weitere Herausforderungen liegen in den auch von Geberseite geforderten zunehmenden Anforderungen an die Effizienz unserer Hilfen. Der humanitäre Sektor ist stark gewachsen, während die Mittel begrenzt sind. Einerseits dürfen wir Gelder nicht verschwenden, anderer-seits müssen sie aber auch im Sinne unserer Grundsätze eingesetzt werden. Effektivität darf hier nicht einseitig zugunsten von Effizienz vernachlässigt werden und kann manchmal heißen, dass weniger Menschen, dafür aber tatsächlich den Bedürftigsten geholfen wird. Dies ist nicht immer leicht nachzuvollziehen. Und schließlich stellen auch die vielerlei Infragestellungen des humanitären Völkerrechts sowie die praktischen Verstöße dagegen eine Herausforderung für die humanitäre Hilfe dar. Hier sei nur an die wiederholten Angriffe auf medizinische Einrichtungen in den jüngsten bewaffneten Konflikten erinnert. Die Verbreitung der Kenntnisse der Regeln des humanitären Völkerrechts, aber auch die Anmahnung ihrer Einhaltung sowie die strafrechtliche Verfolgung von Verstößen sind dabei entscheidend. Wir hoffen, dass hier die jüngsten Initiativen zu Stärkung des humanitären Völkerrechts, an der auch das Rote Kreuz beteiligt ist, eine Verbesserung bewirken werden. Wie die Welt, so befindet sich auch die humanitäre Hilfe im Wandel. Dies betrifft technologische Entwicklungen, die Digitalisierung und die Datensicherheit ebenso wie die Form der humanitären Hilfe, die aus vielfältigen Gründen - z. B. aufgrund der Würde der Empfänger und geringere Kosten - zunehmend in Form von Geld und nicht mehr als Sachleistung erfolgt. Wir müssen anpassungsfähig sein und gleichzeitig vorausschauende humanitäre Hilfe fördern, um zum einen diese neueren Entwicklungen nachzuvollziehen und zu nutzen, und zum anderen die Fähigkeit, den meistbedürftigen Menschen zu helfen, weiterhin behalten zu können.


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