· Berlin

Gewissheit über den Verbleib des kriegsvermissten Vaters aus russischen Archiven

Manfred Kopp konnte das Schicksal seines Vaters klären
Manfred Kropp konnte das Schicksal seines Vaters klären.

Anfang 2020, kurz nach seinem 79. Geburtstag, schreibt Manfred Kropp einen Brief an den DRK-Suchdienst. Er bittet um Auskunft über seinen Vater, Wilhelm Kropp, geboren 1914 in Thiersheim, Oberfranken, seit 1939 Angehöriger der Wehrmacht und im März 1942 auf der Krim verschwunden. Eine erstaunliche Menge an Einzelheiten und Angaben aus der militärischen Laufbahn des Vaters sind der Suchanfrage beigefügt.

Manfred Kropp, in bayerischer Mundart und mit der rauen Stimme eines betagten Mannes, erinnert sich, wie es zur Anfrage kam:

"Mein zweiter Sohn wusste, dass der Suchdienst nun neue Auskünfte aus Archiven der Sowjetunion hat und meinte 'Komm, jetzt fragst du nochmal nach'. Und das habe ich getan."

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1990 hat der DRK-Suchdienst Suchanfragen nach Vermissten, die in der Sowjetunion vermutet wurden, an den Suchdienst der Allianz vom Roten Kreuz und Roten Halbmond der Sowjetunion geschickt. Deren personelle Kapazitäten waren geringer als die des DRK-Suchdienstes, so dass diese Anfragen nicht alle bearbeitet werden konnten. Für die Nachforschungen war es daher sehr förderlich, dass der DRK-Suchdienst nach der Perestroika und der Auflösung der damaligen Sowjetunion, selbst direkten Zugang zu den ehemals sowjetischen Archiven erhielt. In den darauffolgenden Jahrzehnten hat der DRK-Suchdienst mit diesen entsprechende Vereinbarungen geschlossen, auf deren Grundlage er kontinuierlich schicksalsklärende Informationen über kriegs- und zivilvermisste Deutsche erhielt und teilweise noch immer erhält.

Detaillierte Ergebnisse

Statt des Hinweises "An der Ostfront verschollen" kann der DRK-Suchdienst den suchenden Familien nach langen Jahren der Ungewissheit nun detailliertere Ergebnisse seiner Nachforschungen übermitteln.

"Ich habe selber keine Erinnerungen an meinen Vater", sagt Manfred Kropp. "Aber er hat immer an meine Mutter geschrieben, auch über seine Einsätze an der Front. Er war wohl in einem Baubataillon, zuerst in Polen, dann in Frankreich und ab 1942 am Feldzug im Osten beteiligt."

Manfred Kropp hat die Bilder und Dokumente des Vaters systematisch gesammelt. Es sind Feldpostbriefe, Fotografien und alle seine selbst verfassten Erinnerungen und Protokolle über seine Einsätze. Seine unterschiedlichen Stationen dokumentierte der Soldat Wilhelm Kropp im Heimaturlaub auf seiner Schreibmaschine und führte darin genau auf, von wann bis wann er an verschiedenen Feldzügen teilnahm. Und von der Front kam stets Post von ihm für seine Frau und seine beiden Söhne.

Die alte Schreibmaschine und den Fotoapparat des Vaters hat Manfred Kropp bis heute aufbewahrt. "Er hat so viel geschrieben, dass ich denke, er hat mehr geschrieben als gekämpft", sagt Manfred Kropp heute mit einem Lächeln.

„Meine Mutter hat nicht viel über ihn gesprochen, wie das bei vielen der Alten war. 'Lass` das sein, das ist Schnee von gestern' und so weiter. Und wenn man eine Frage gestellt hat, hieß es immer 'Das weiß ich nicht mehr.'"

Einige Zeit nachdem der Soldat Wilhelm Kropp gefangen genommen wurde, im März 1942, bekam die Familie ein Schreiben vom leitenden Offizier der Truppe, in dem er bedauere, dass "Willi Kropp" auf der Krim verschwunden sei. Weiter bedankte sich der Offizier bei der Familie für den "Einsatz im Kampf gegen den Bolschewismus".

Der junge Manfred Kropp wuchs auf, in der sicheren Annahme, der Vater sei tot. "Ich weiß, dass das Gebiet auf der Krim voller Minen war. Und ich stellte mir vor, dass er nachts aus der Kaserne gegangen und auf eine Mine getreten ist. Wenn er irgendwie in Gefangenschaft geraten wäre, hätte so ein schreibender Mensch sicherlich einen Brief oder eine Nachricht aus dem Lager organisiert. Und das haben wir nie bekommen. Daher habe ich gedacht, er wäre getötet worden."

Bis 1955 kamen aber immer wieder ehemalige Kriegsgefangene aus dem Osten zurück nach Deutschland. Tausende Familien warteten hoffnungsvoll an den Bahngleisen, ob auch ihr Vater, Sohn oder Bruder dabei wäre. Mittlerweile hatte der DRK-Suchdienst ein Karteikartensystem mit hunderttausenden von Einzeldaten gesammelt, aufgeteilt in zwei Kategorien: "Suchende" – mit Personenangaben derer die nach einem Angehörigen suchen, und "Gesuchte" – mit Auskünften über die vermissten Angehörigen. Der Suchdienst arbeitet bis heute daran, die beiden Kategorien zu verknüpfen und in jedem Einzelfall die betroffenen Familienmitglieder miteinander zu verbinden

Manfred Kropp erinnert sich an lange Stunden vor dem Radio im Haus der Großeltern, wo er aufgewachsen ist, zusammen mit der Mutter und dem zwei Jahre jüngeren Bruder.

"Als ich 14 -15 war, habe ich besonders bei Interviews mit ehemaligen Soldaten oder Gefangenen zugehört, ob sie etwas über meinen Vater sagten. Aber nein, haben sie nicht."

Eine wichtige Quelle, um Informationen aus den Kriegsgefangenenlagern zu erhalten, waren die Gespräche mit ehemaligen Gefangenen, so genannte "Rückkehrerbefragungen". Diese Heimkehrer konnten oftmals nähere Auskünfte zu den Vermissten aus ihren eigenen Reihen geben. 1.921.000 Kriegsheimkehrer wurden bis 1955 befragt. Aber von Wilhelm "Willi" Kropp fehlte jede Spur.

"Ich kann nicht sagen, dass ich darunter gelitten habe, ohne Vater aufzuwachsen", sagt Manfred Kropp heute. "Die Nachkriegszeit war natürlich hart, wie für alle, aber uns ging es allgemein nicht schlecht. Meine Mutter hat ein kleines Anwesen geerbt, hat mit Eisverkauf und Konditoreigebäck immer was dazuverdient.

Nach drei Monaten kommt die Antwort

Aber im Jahr 2020 unternimmt Manfred Kropp dann einen neuen Versuch, motiviert durch die Zuversicht des eigenen Sohnes, dass es auch neue Erkenntnisse über den Verbleib seines Vaters geben könnte. Und in der Tat – binnen dreier Monate kommt Antwort vom DRK-Suchdienst.

"Es war ein dicker, schwerer Briefumschlag. Offensichtlich hatten sie etwas gefunden. Ich wusste nicht, ob ich mich trauen sollte, den Brief zu öffnen."

Nach einleitenden Sätzen und der Rekapitulation des Zugangs zu Archivbeständen der Russischen Föderation teilt der DRK-Suchdienst dann in seinem Schreiben mit:

"Aus der in Russisch abgefassten Gefangenenakte geht hervor, dass Wilhelm Kropp am 19.03.1942 in Wladislawowka, Krim, in sowjetische Gefangenschaft kam und am 18.04.1942 im Lager im Temnikow, Mordwinien, Russische Föderation registriert wurde.

Wilhelm Kropp ist am 03.07.1942 im Hospital des Monetno-Losinowksij Lagers an Pellagra verstorben und wurde auf dem Friedhof des Lagers Losinowskij, Grab Nr. 21/742, bestattet."

Erlösende Gewissheit

Endlich, genaue Daten, auch zur Todesursache und sogar eine Grabstätte – erlösende Gewissheit!

"Da waren Unterlagen und Kopien und alles Mögliche dabei. Aber was mir Gewissheit gab, war ein Fragebogen vom Lager, den mein Vater unterschrieben hatte. Und ich kenne seine Unterschrift von Briefen und so weiter und da war mir klar, dass dies absolut richtig ist. Das war für mich der Moment, wo ich wusste, was passiert ist."

An "Pellagra" sei der Vater verstorben, eine Krankheit, ausgelöst durch Mangelernährung. Dieses Schicksal teilt Wilhelm Kropp mit tausenden anderen Kriegsgefangenen. Manfred Kropp hält die Tatsache, dass der Vater nicht länger als etwa zweieinhalb Monate im Gefangenenlager war, für gut. "Somit ist ihm sicherlich viel Leid erspart worden", sagt er.

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