· Berlin

„Mir ist jetzt leichter ums Herz.“

Die Arbeit des Suchdienstes klärt Schicksale aus dem Zweiten Weltkrieg
Heidi Büttner konnte das Schicksal ihres Vaters klären.

Das Schicksal ihres im Zweiten Weltkrieg vermissten Vaters Waldemar Jahr hat die heute 81-jährige Heidi Büttner über die vielen Jahrzehnte hinweg nie losgelassen. „Waldemar Jahr war Feldwebel bei der motorisierten Truppe und geriet am 10. Mai 1945 in der Slowakei in russische Gefangenschaft.“ So steht es jedenfalls in gut leserlicher Handschrift auf einer Postkarte, die Heidi Büttners Mutter Ilse Jahr im November 1947 an den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes geschickt hat.

„Wir haben immer gebetet, dass Vater wiederkommen soll, und ich habe nachts auch oft von ihm geträumt. Als Kind hat man immer gehofft, er kommt noch“, erinnert sich die gebürtige Berlinerin Heidi Büttner, geborene Jahr, die seit ihrer Heirat 1961 in Eichwalde im Landkreis Dahme-Spreewald in Brandenburg wohnt.

Die Hoffnung auf ein Wiedersehen hat sich allerdings nie erfüllt, die innere Unruhe bei Heidi Büttner aber auch nie gelegt. Nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs hat sie im Jahr 1995 eine eigene Suchanfrage an den DRK-Suchdienst gestellt, weil damals die russischen Archive dem DRK-Suchdienst direkten Zugriff auf Akten über ehemalige deutsche Kriegsgefangene ermöglichten und die Medien darüber berichteten – vergeblich.

75 Jahre nach Kriegsende

Einen erneuten Anlauf unternahm sie im Sommer 2019 über den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, dem allerdings keine eigenen Erkenntnisse vorlagen und der an den DRK-Suchdienst verwies. Diesmal hatte Heidi Büttner mehr Glück. Am 9. Oktober 2019 – fast 75 Jahre nach Kriegsende – erhielt sie vom DRK-Suchdienst ein Schreiben, das Klarheit brachte: Aus russischen Archivbeständen ging hervor, dass Waldemar Jahr als Kriegsgefangener im Spezialhospital Nr. 1631 in Subowa Poljana in Russland – südöstlich von Moskau gelegen - registriert war und dort bereits am 18. September 1945 an Dystrophie gestorben ist: Wie bei vielen anderen deutschen Kriegsgefangene waren Hunger und Unterernährung die Todesursache. Heidi Büttner weiß jetzt auch, dass ihr Vater auf einem zum Spezialhospital „dazugehörigen Friedhof im Quadrat Nr. 2, Grab Nr. 28“ am 20. September 1945 bestattet wurde. Eine Kopie der noch erhaltenen russischen Kriegsgefangenenakte bekam sie mitgeliefert.

"Ich kann jetzt anders an meinen Vater denken."

Was ging ihr durch den Kopf, als sie den Brief des DRK-Suchdienstes in den Händen hielt? „Ich war erstmal platt. Ich habe mich gefreut, als die Nachricht eintraf. Es war eine verhaltene Freude, die Nachricht musste erst ankommen, es dauerte Tage“, erzählt sie. „Mir ist jetzt leichter ums Herz. Ich kann jetzt anders an meinen Vater denken.“

Dabei ist die konkrete Erinnerung an ihren Vater, der als Angestellter der Reichsbank in Berlin arbeitete, nur noch schwach ausgeprägt. Bei Kriegsende war Heidi Büttner gerade einmal sechs Jahre alt. „Mein Vater war streng, er stammte aus einer Offiziersfamilie und hat sich auch freiwillig zum Kriegseinsatz gemeldet“, sagt sie. Über die Umstände, wie Waldemar Jahr in Kriegsgefangenschaft geraten ist, gibt es unterschiedliche Angaben. Ein Kriegsheimkehrer will ihn im Sommer 1945 im Lager Odessa gesehen haben, ein anderer erklärte, dass er im Herbst 1945 im Waldlager Tula an Ruhr erkrankt sei. Die russische Akte enthält leider keine genauen Angaben dazu, sie wurde erst nach Waldemar Jahrs Tod von der Verwaltung des Kriegsgefangenenlagers angelegt. Eine im Jahr 1959 gestellte Anfrage vom Suchdienst des DRK an das Russische Rote Kreuz wurde negativ beantwortet.

Heidi Büttner selbst erlebte bei Kriegsende ereignisreiche Monate im damaligen Landkreis Arnswalde südöstlich von Stettin im heutigen Polen. Als die Situation in der Hauptstadt Berlin durch die zahlreichen Fliegerangriffe der Amerikaner und Briten immer schwieriger wurde, verließ ihre Mutter mit den insgesamt vier Kindern im September 1943 das Zuhause im Berliner Stadtteil Oberschöneweide und zog ins vermeintlich sichere Kratznick. Als das Gebiet dort im Februar 1945 von russischen Truppen erobert wurde, brachte sich die Mutter mit den Kindern vorübergehend im Wald in Sicherheit. „Hier lebten wir unter drei Tannen zehn Tage und elf Nächte mit einer Tagesration von zwei Scheiben Dauerwurst und Quellwasser“, erzählt Heidi Büttner. Seither weiß sie auch, was Hunger bedeutet: „Unsere Mutter erzählte später, meine Zwillingsschwester und ich hätten damals Ärmchen gehabt so dünn wie Besenstiele.“

Im Juni 1945 gelang der Familie dann mit dem Leiterwagen die heimliche Flucht nach Berlin. Zu ihrer großen Freude war ihr Haus in Berlin-Oberschöneweide von den schweren Kriegszerstörungen verschont geblieben. „Das war ein ganz großes Geschenk“, sagt Heidi Büttner. Was die Familie nicht wusste: Waldemar Jahr - damals 40 Jahre alt - hatte zu diesem Zeitpunkt nur noch wenige Monate zu leben.

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