Proben für den Ernstfall: Als Darstellerin beim Training für Auslandseinsätze

 - Berlin

Zur Vorbereitung für den Auslandseinsatz gehören realistische Trainings, bei denen mit Hilfe von freiwilligen Darstellerinnen und Darstellern mögliche Krisensituationen geübt werden. Ihre spannenden Erlebnisse bei so einem Training auf der Berliner Insel Schwanenwerder hat DRK-Mitarbeiterin Andrea Berndt mit uns geteilt.

Auf einer Wiese am Wasser unter Bäumen stehen Zelte und eine mobile Trinkwasseranlage. Menschen mit und ohne Rotkreuzwesten stehen auf der Wiese

Ankunft und Einweisung in unsere Aufgaben

Das Gästehaus auf der Berliner Insel Schwanenwerder ist mit seinem riesigen Außengelände am Ufer der Havel eine ideale Kulisse, um sich auf erfundene Katastrophenszenarien einzulassen und mit dem damit einhergehenden Lärm und lebhaftem Schauspiel niemanden zu stören. Dorthin hatte das DRK-Sachgebiet Sofort- und Nothilfe (oder Surge) Mitglieder des Surge Roster und freiwillige Darsteller eingeladen, an einer praktischen Übung für den Katastropheneinsatz teilzunehmen.

Ziel dieser Trainings ist es, Einsatzkräfte aus aller Welt, die später tatsächlich in Krisengebiete entsandt werden, auf realistische Szenarien vorzubereiten. Für solche Übungstage brauchen teilnehmende Darstellerinnen und Darsteller keine fachlichen Vorkenntnisse, außer Englisch – und Neugier sowie etwas Humor.

Surge Roster

Unser Surge Roster besteht aus erfahrenen, ehrenamtlichen Fachkräften, die im Krisenfall weltweit für das Deutsche Rote Kreuz oder die internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung zum Einsatz kommen.
Wer kann Teil dieses Personal-Pools werden? Man braucht die passende berufliche Ausbildung, Berufserfahrung und sollte in den kommenden Jahren für Einsätze zwischen vier Wochen und drei Monaten verfügbar sein. Englischkenntnisse auf mindestens C1-Niveau werden vorausgesetzt, weitere Sprachkenntnisse sind von Vorteil.

Wer Interesse hat und bereit ist, auch unter schwierigen Bedingungen in einer fremden Umgebung seinen Einsatz zu leisten, der kann sich hier informieren und bewerben:

The GRC Humanitarian Surge Roster

Übungs-Darstellerin Andrea Berndt
Als freiwillige Darstellerin soll Andrea Berndt eine protestierende Anwohnerin der fiktiven Stadt Dunantville repräsentieren.

Los geht das turbulente Schauspiel - auf zur Demo!

Mein Einsatz fand am zweiten Übungstag statt. Als ich mit dem vom DRK organisierten Shuttle ankam, war das Feldkrankenhaus schon aufgebaut. Es gab auf dem Gelände z.B. einen Empfang, ein Wartezimmer, ein Behandlungszimmer, einen OP-Saal, eine Frauenklinik und eine Apotheke, alles in Zelten auf der Wiese.

Anfangs haben wir (10 freiwillige Darstellerinnen und Darsteller) uns bei einer dampfenden Tasse Kaffee zu einer Einweisungsrunde versammelt und bekamen die Abläufe erklärt. Uns wurde berichtet, dass es in Alphaland einen Zyklon gegeben hätte. Sehr viele Menschen seien verletzt und bräuchten Hilfe in den Zelten der mobilen Gesundheitseinrichtungen. Es seien Gebäude eingestürzt und beschädigt. Das anfängliche Chaos habe sich bereits gelegt.

Szenario 1: Einer Gruppe Schwangeren ist zu Ohren gekommen, dass das aufbereitete Wasser schlecht für die ungeborenen Babys sei und es zu Fehlgeburten kommen kann. Wir haben sofort eine laute Demonstration mit Stöcken, Topfdeckeln und Plakaten formiert und ordentlich vor dem Feldkrankenhaus Rabatz gemacht. Hierbei gibt es Regeln, wie die Klinikmitarbeitenden vorgehen sollen, um die Situation zu klären. Natürlich kam dann wie aus dem Nichts die fiktive Lokalpresse und hat Wortfetzen erfasst und uminterpretiert, die den Einsatz in einem schlechten Licht erscheinen ließen, z.B. “Red Cross water is bad for babies”. Auch hiermit muss Im Ernstfall umgegangen werden.

Eine Frau wird von einem Mann in Schutzkleidung gestützt. Im Hintergrund Zelte des Feldkrankenhauses
Eine ähnliche Übung fand 2023 in Schwanenwerder statt. Geprobt wurde der Einsatz bei einer hochinfektiösen Epidemie, wie es z.B. bei der Ebolakrise 2014 der Fall war.

Meine Rollen als Darstellerin im Krisenszenario

Szenario 2: Ich war durch den aufgewirbelten Staub, in dem auch giftige Partikel aus umgestürzten Gebäuden waren, mit meiner chronisch obstruktiven Lungenerkrankung stark in der Atmung beeinträchtigt und habe Hilfe im Feldkrankenhaus gesucht. Auch hier gab es vom Empfangsmitarbeitenden über die Notaufnahmestation und die behandelnden Ärzte weiter zur Klinikapotheke bestimmte Vorgaben, die erfüllt werden mussten. Das Personal erkannte meine Luftnot auch ohne Worte („Keuch, Röchel, Hust“). Meine Vitalwerte wurden überprüft, ich bekam Sauerstoff und Medikamente.

Die Vorgaben zu den simulierten Symptomen und der nötigen Behandlung standen auf einem Zettel, den alle zur Einweisung erhielten. Wir achteten auf Einhaltung, bzw. gaben nach jedem Einsatz Rückmeldung an einer abseits gelegenen Station, bei der kurzfristig neue Aufträge verteilt wurden und unsere Rückmeldungen dokumentiert wurden. Übrigens alles auf Englisch.

Szenario 3: Zuletzt schlüpfte ich in die Rolle einer 16jährigen, die gehört hatte, dass ihre Freundin gestern eine 3-Monats-Verhütungsspritze erhalten hätte. Die wollte ich jetzt auch. UNBEDINGT und durchgesetzt mit der „Willenskraft eines Teenagers”.

Überraschungsmomente, damit Einsatzkräfte möglichst gut vorbereitet sind

Damit bei der nächsten Übung das Überraschungsmoment nicht verloren geht, kann ich keine Einzelheiten der möglichst realistisch von uns durchgespielten Szenarien verraten. Ob wir aufgebrachte Anwohner oder plötzliche Infektionsausbrüche simulierten, das Krankenhauspersonal war sehr gefordert und musste flexibel, aber stets überlegt reagieren, wenn überraschend dramatische Störfälle geschahen. Eben damit man für den nächsten Einsatz irgendwo auf der Welt möglichst gut vorbereitet ist.

Anschließend haben wir alles ausgewertet und berichtet, wenn z. B. ein Arzt die Einweghandschuhe vergaß, oder uns alles Mögliche versprochen wurde, nur damit wir Ruhe gaben. Es wurde bei der Auswertung abgefragt, ob es uns selbst als Darstellenden gut ginge und ob wir das Erlebte gut verarbeiten können. Das fand ich sehr professionell.

Aus einem Kunststofftank mit der Aufschrift "(8000 Liter Reinwasser Pure Water" ragen mehrere dicke Schläuche

Und wie funktioniert das mit der Wasseraufbereitung?

Wer neugierig war, konnte sich erklären lassen, wie die Wasseraufbereitungsanlage funktioniert: Mit riesigen Schläuchen wird Wasser aus der Havel abgepumpt. Es durchläuft einen Filter und wird in einem 8.000 Liter großen Becken aufgefangen und gechlort. Danach durchläuft es weitere Filteranlagen in das nächste 8.000-Liter-Becken. Wenn das Wasser einen bestimmten Reinheitsgrad erreicht hat, wird es in eine 800 Liter-Blase geleitet und kann dann zum Verbrauchsort transportiert werden.

Detailansicht einer Rotkreuzweste mit dem fiktiven Namen "Dunantville Red Cross"s
Die Rotkreuzweste für Einsatzkräfte am fiktiven Übungs- und Einsatzort Dunantville, der nach dem Gründer Henri Dunant der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung benannt ist.

Mein Fazit des Tages – es hat sich gelohnt!

Zum Abschluss des erlebnisreichen Tages bekamen alle gemeinsam auf der sonnigen Terrasse am Wasser eine leckere Mahlzeit, auch Veganes war am Buffet verfügbar (der Koch nannte es “das Gleiche in grün”). Das Klinikpersonal und die Demonstranten saßen neben Personen, die Beinverbände, aufgemalte Schusswunden und sonstige Verbände am Körper hatten, alle durcheinander beim angeregten Austausch.

Mit erweitertem Horizont, neuen internationalen Bekanntschaften und dem Bewusstsein, dass meine Arbeit echt vielseitig und wichtig ist, bin ich dann wieder mit dem DRK-Shuttle zur S-Bahn gebracht worden. Auf jeden Fall bin ich bei weiteren Übungen bei Bedarf dabei!

Was ich auch mitnehme - Ich wünsche allen Einsatzkräften in Katastrophengebieten alles erdenklich Gute und weiß, dass die Hilfe dieser Personen ankommt und einen unschätzbaren Wert für die Betroffenen darstellt.