Die Geburts­stunde des huma­ni­tären Völker­rechts

Durch den Abschluss der Genfer Konvention werden Menschen, die nicht mehr an bewaffneten Ausein­an­der­set­zungen teilnehmen, erstmalig vor Grausamkeit und Unmensch­lich­keit in Kriegs­si­tu­a­ti­onen geschützt.

Henry Dunant erlebt in Solferino, wie schwer verwundete Soldaten auf dem Schlachtfeld einfach liegengelassen werden und grausam verbluten. In seinem Buch Eine Erinnerung an Solferino fordert er deshalb die Gründung von Hilfs­ge­sell­schaften, die unter inter­na­ti­o­nalem Schutz stehen. Das ausgebildete Pflegepersonal soll sich im Krieg neutral verhalten und allen verwundeten Soldaten, gleich ob Feind oder Freund, zur Seite stehen.

Fünf namhafte Genfer Bürger begeistern sich für Dunants Idee und schließen sich zu einer Arbeits­ge­mein­schaft zusammen, um die Vorschläge weiter auszuarbeiten. Im Oktober 1863 laden sie zu einer Konferenz. Sie verschicken an Höfe, Behörden, Verbände und bedeutende Persön­lich­keiten in ganz Europa ihre Vorschläge und bitten um Teilnahme. Und tatsächlich erscheinen 36 wichtige Vertreter aus 16 Staaten, die sich dafür einsetzen, dass die Krieg führenden Mächte in bewaffneten Konflikten sowohl die Verwundeten und freiwilligen Helfer als auch die Feldlazarette, die Spitäler und das Sani­täts­per­sonal der Armee für neutral erklären.

1864 unterzeichnen auf einer offiziellen Konferenz der Schweizer Regierung zwölf Nationen die erste "Konvention zur Verbesserung des Loses der im Felddienst verwundeten Mili­tär­per­sonen". Das Abkommen wird 1949 überarbeitet und 1977 nochmals erweitert. Zusammen mit der Haager Land­kriegs­ord­nung bildet es bis heute den Eckpfeiler des humanitären Völkerrechts. Mittlerweile haben 194 Staaten die Genfer Abkommen ratifiziert.

Grund­prin­zi­pien

In bewaffneten Konflikten soll zwischen Kämpfenden und Zivilisten, militärischen und nicht militärischen Objekten unterschieden werden. Das humanitäre Völkerrecht legt fest, dass auch das Verhältnis der eingesetzten Methoden und Mittel zu dem angestrebten und tatsächlich bewirkten militärischen Zweck beachtet wird. Außerdem sind Vorsichts­maß­nahmen zum Schutz von zivilen Personen und Objekten zu ergreifen.

Geschützte Personen

Die Genfer Abkommen und ihre drei Zusatz­pro­to­kolle schützen Zivilpersonen in Zeiten bewaffneter Konflikte, aber auch Hilfe leistendes medizinisches und religiöses Personal sowie Gegner, die nicht mehr in der Lage sind zu kämpfen – also kranke, verwundete oder schiffbrüchige Kombattanten sowie Kriegs­ge­fan­gene.

Schutz von Journalisten

Es ist wichtig, dass die Medien angemessen über Kriegs­si­tu­a­ti­onen berichten können. Das bedeutet oft, dass sich Journalisten in gefährliche Situationen begeben müssen. In den Genfer Abkommen sind Journalisten klar in ihrer Eigenschaft als Zivilisten definiert. Das wurde im ersten Zusatz­pro­to­koll von 1977 nochmals bekräftigt.

Verbotene Waffen

Das humanitäre Völkerrecht verbietet ausdrücklich Waffen, die unnötiges Leiden oder überflüssige Verletzungen verursachen. Waffen, die keine Unterscheidung von militärischen und zivilen Objekten zulassen, sind genauso untersagt wie Waffen, die ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen und so den Menschen die Lebens­grund­lage nehmen. Dazu gehören zum Beispiel Streubomben.

Verbotene Kriegsmethoden

Als unzulässige Methoden in kriegerischen Ausein­an­der­set­zungen werden im humanitären Völkerrecht unter anderem Heimtücke und der Missbrauch anerkannter Kennzeichen sowie Nati­o­na­li­täts­kenn­zei­chen aufgeführt. Verboten sind die Anweisungen, niemanden am Leben zu lassen, und Gewalt gegenüber außer Gefecht gesetzten Gegnern. Das humanitäre Völkerrecht untersagt ebenso Repressalien gegen geschützte Personen und das Aushungern von Zivilpersonen.

Schutzzeichen

Anerkannte Schutzzeichen zeigen, dass Personen und Gegenstände neutral und im Sinne der Genfer Abkommen im Einsatz sind — etwa zur Bergung oder Versorgung von Verwundeten. Sie sollen Kämpfende von Angriffen abhalten. Das Rote Kreuz, der Rote Halbmond und der zurzeit nicht mehr verwendete Rote Löwe mit roter Sonne werden in den Genfer Abkommen als Schutzzeichen anerkannt. Im dritten Zusatz­pro­to­koll aus dem Jahr 2005 wurde der Rote Kristall als weiteres Schutzzeichen aufgenommen. Sehen Sie hier dazu den Film „A universal code" vom IKRK, dem Inter­na­ti­o­nalen Komitee vom Roten Kreuz.

Der Mini­mal­stan­dard

Geschützte Personen werden, so fordern es die Genfer Abkommen, unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt, ohne Unterscheidung von Rasse, Hautfarbe, Religion oder Glauben, Geschlecht, Vermögen oder ähnlichen Merkmalen. Tötung, Verstümmelung und Vergewaltigung, Folterung, Geiselnahme und entwürdigende Behandlung sind verboten. Verurteilungen dürfen nur von einem ordentlichen Gericht unter Berück­sich­ti­gung der grundlegenden Rechts­ga­ran­tien ausgesprochen werden. Verwundete und Kranke werden geborgen und gepflegt.

Verbrei­tungs­ar­beit

Damit Teilnehmer bewaffneter Konflikte die Regeln des humanitären Völkerrechts im Ernstfall kennen und umsetzen können, gehört die Verbreitung dieses Wissens zu den Aufgaben der Staaten und des Roten Kreuzes. Die Rotkreuz- und Rothalb­mond­be­we­gung vermittelt die Bedeutung des humanitären Völkerrechts und treibt seine Weiter­ent­wick­lung voran. Teil ihrer Arbeit ist es auch, die Einhaltung der Genfer Abkommen einzufordern. Diese Verbrei­tungs­ar­beit ist in der Satzung des Deutschen Roten Kreuzes und im DRK-Gesetz festgehalten. 

Das Deutsche Rote Kreuz begrüßt als nationale Gesellschaft eines EU-Mitglieds­landes die Erstellung einer Deklaration zum 60. Jahrestag der vier Genfer Abkommen durch die Mitglieds­staaten der Europäischen Union. Als Hilfs­ge­sell­schaft der staatlichen Behörden im humanitären Bereich bekräftigt es seine Kooperation und die Unterstützung dieser Institutionen in der Verbreitung und der Umsetzung des humanitären Völkerrechts.

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