
Wenn der Wind durch die zerborstenen Fenster pfeift und der Frost in den Zimmern steht, zählt jede helfende Hand. Während sich die Bevölkerung auf einen weiteren harten Winter vorbereitet, steht die Ukraine erneut vor großen humanitären Herausforderungen. Temperaturen von bis zu minus 20 Grad Celsius bedrohen das Leben vieler – besonders älterer Menschen, Kinder, chronisch Erkrankter und jener, die in beschädigten Häusern oder Gemeinschaftsunterkünften leben müssen.

| Fast vier Jahre nach Beginn der Eskalation des Konflikts ist die Not unvermindert groß: 12,7 Millionen Menschen sind auf humanitäre Unterstützung angewiesen, 3,7 Millionen sind innerhalb des Landes vertrieben, und weitere 6,7 Millionen haben Zuflucht außerhalb des Landes gesucht. Stromausfälle, zerstörte Versorgungsnetze und steigende Preise für Energie und Lebensmittel verschärfen die Lage zusätzlich. „Bei unserer Hilfe steht nicht nur die bloße Anzahl der unterstützten Menschen im Vordergrund“, erklärt Christof Johnen, Leiter der Internationalen Zusammenarbeit beim DRK. „Wir achten darauf, dass wir jenen möglichst nachhaltig helfen, die es am dringendsten benötigen. Deshalb stärken wir lokale Einrichtungen – insbesondere in abgelegenen Gegenden.“ |

Auf den matschigen Straßen eines kleinen Dorfs im Oblast Odessa taucht am frühen Morgen ein weißer Kleinbus mit einem roten Kreuz auf. Drinnen sitzen Ärztin Olha und Krankenschwester Iryna – Teil einer Mobilen Gesundheitsstation (Mobile Health Unit – MHU). Sie besuchen Dörfer, in denen die medizinische Grundversorgung unterbrochen ist.
„Im Winter sind abgelegene Gemeinden oft völlig ohne medizinische Versorgung, da Schnee, Eis und schlechte Straßen die Fahrt ins Krankenhaus nahezu unmöglich machen“, sagt Oleksandra, die Projektmanagerin. „Unsere Fahrzeuge sind manchmal die einzige Verbindung zur Außenwelt.“
Die Teams der MHUs behandeln Bluthochdruck, Diabetes und Atemwegserkrankungen, sie impfen und verteilen auch Medikamente. Fünfzehn MHUs haben 2025 bereits über 15.000 Menschen erreicht – für viele ist ihr Besuch buchstäblich lebensrettend.

In einem kleinen Haus nahe Riwne öffnet Nadia, 78, vorsichtig die Tür. Drinnen ist es feucht und rauchig vom Holzofen. Seit sie verwitwet ist, lebt sie allein – bis Natalja, Sozialarbeiterin des Ukrainischen Roten Kreuzes (URK), sie regelmäßig besucht. „Seit Mai kommt Natalja dreimal die Woche und ist eine unglaubliche Hilfe. Alles ist so viel einfacher. Sie sieht sofort, was gemacht werden muss und tut es einfach – vom Holzhacken bis zur Reinigung des Hauses“, erzählt Nadia und lächelt.
2024 unterstützte das URK über 7.000 ältere und kranke Menschen in 24 Regionen mit häuslicher Pflege. Insgesamt wurden 183.500 Hausbesuche durchgeführt. Neben der direkten Betreuung fördert das DRK auch Schulungen für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu Themen wie psychologische Erste Hilfe, Schutz und Gleichstellung.

Damit ältere Menschen auch außerhalb ihres Zuhauses Anschluss finden, wurden neun Active-Aging-Clubs gegründet. In Gemeindesälen oder umfunktionierten Bibliotheken treffen sich über 200 Seniorinnen und Senioren, um gemeinsam zu kochen, zu basteln, zu singen oder an Erste-Hilfe-Schulungen teilzunehmen. 2025 sollen 2.000 Teilnehmende erreicht werden.
„Der bewaffnete Konflikt hat alle getroffen, er ist Teil unseres Lebens geworden“, berichtet ein Team Freiwilliger aus Tomina Balka. „Viele unserer Besucherinnen und Besucher schlafen schlecht, haben Angst oder fühlen sich erschöpft. Unsere wöchentlichen Treffen helfen ihnen, wieder Vertrauen zu fassen.“
Im Gemeindehaus werden Aktivitäten angeboten, die sich auf die psychosozialen Aspekte des Lebens fokussieren. Kinder sitzen an kleinen Holztischen und malen das, was sie verbal noch nicht ausdrücken können, während Freiwillige Geschichten vorlesen. Ein paar Räume weiter sprechen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, manchmal auch Psychologinnen und Psychologen mit Erwachsenen über ihre Ängste, Sorgen und Belastungen.
In einem Reha-Zentrum bei Odessa übt der 32-jährige Serhii, der bei einem Angriff verletzt wurde, vorsichtig das Gehen mit einer Prothese. Neben ihm motiviert Physiotherapeutin Kateryna ihn mit einem Lächeln: „Jeder Schritt zählt.“
Das URK hat das Rehabilitationsprogramm bereits auf Riwne, Wolhynien, Odessa und Saporischschja ausgeweitet. Ziel ist, körperliche Heilung mit sozialer Wiedereingliederung zu verbinden.

Ob bei Notfällen, Evakuierungen oder plötzlichen Schneestürmen – die Notfallteams (Emergency Rescue Teams, ERTs) des URK sind in Minuten einsatzbereit. In der ersten Jahreshälfte 2025 haben sie mehr als 2.200 Menschen geholfen. Parallel zu den ERTs unterstützt das DRK den Aufbau freiwilliger Feuerwehren in Gemeinden. Sie retten, löschen und leisten Erste Hilfe – oft bevor staatliche Rettungskräfte eintreffen.

Derzeit sind 16 internationale DRK-Mitarbeitende in der Ukraine im Einsatz, in Kyjiw, Odessa, Riwne, Wolhynien und Saporischschja. Sie unterstützen das URK technisch und stärken es in seiner Arbeit, während die Umsetzung der Maßnahmen vollständig beim URK liegt. Ziel ist es, die Kapazitäten des URK nachhaltig zu verbessern.
Die Projekte werden unter anderem durch Mittel des Auswärtigen Amts (AA), des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), der EU (DG ECHO) und mehrerer Rotkreuzgesellschaften sowie Privatspenden finanziert. Insgesamt ermöglichen rund 30 Millionen Euro Fördermittel eine Kombination aus akuter Hilfe, langfristiger Aufbauarbeit und partnerschaftlicher Zusammenarbeit – nur für die unmittelbare Winterhilfe, sondern auch für die Zukunft der Ukraine.
Wenn draußen der Schnee fällt und die Dunkelheit früh hereinbricht, sitzen in vielen Orten der Ukraine Menschen beisammen – und sprechen über die Zukunft, über ihre Hoffnungen und über Menschen, die ihnen genommen wurden - in zugigen Räumen und bei einer Tasse Tee. Hier zeigt sich, was Menschlichkeit bedeutet: Nähe, Fürsorge und das stille Versprechen, dass niemand allein gelassen wird.