Die Jahre 1970 – 1990

Aufbruch in eine neue Zeit

Die Jugendbewegung der sechziger Jahre ist auch am westdeutschen Jugendrotkreuz nicht spurlos vorübergegangen. Innerverbandlich wird eine stärkere Demokratisierung gefordert, das seit 1925 bestehende Motto „Ich diene“ scheint nicht mehr zeitgemäß. Den entscheidenden Impuls zu Veränderungen gibt 1971 das schon seit einigen Jahren stattfindende JRK-Bundestreffen auf der Wewelsburg bei Paderborn in Westfalen.

Dort kommen Delegierte im Alter von sechzehn bis fünfundzwanzig Jahren aus allen DRK-Landesverbänden zusammen. Die Diskussionen führen zu einem neuen Selbstverständnis. Das Jugendrotkreuz sieht sich nicht mehr nur als Nachwuchsorganisation des DRK, sondern als eigenständiger Jugendverband im DRK mit eigenen Beschlussgremien. Es ist nach demokratischen Prinzipien aufgebaut und bestimmt seine Ziele, Programme und Methoden selbst. Seine Mitglieder sind zugleich Mitglieder des Deutschen Roten Kreuzes. Mit anderen Rotkreuzgemeinschaften arbeitet es partnerschaftlich zusammen und bietet Möglichkeiten zu politischem Engagement. Internationale Verständigung wird zu einem wichtigen Thema. Die Aufgaben lauten nunmehr: soziales Engagement, Einsatz für Gesundheit und Umwelt, Handeln für Frieden und Völkerverständigung sowie politische und gesellschaftliche Mitverantwortung.

Im DRK der DDR rücken in den siebziger und achtziger Jahren die ideologische Ausrichtung der Jugend zu sozialistischen Persönlichkeiten und ihre Mobilisierung für gesellschaftspolitische Ziele in den Vordergrund. Schwerpunkte der Rotkreuzarbeit sind nun Gesundheitsschutz und Gesundheitserziehung, besonderes Augenmerk liegt auf abrechenbaren Einsätzen. Die Jugendarbeit wird ab 1970 intensiviert, gleichzeitig wird der Begriff JRK vermieden, und es ist meist von „Rotkreuzjugend“ die Rede. Katrin Gillman-Bäsell, zur Wendezeit Vorsitzende des Zentralausschusses des JRK präzisiert: „Der Begriff Rotkreuzjugend umfasste übrigens jugendliche Mitglieder des DRK und junge Erwachsene. Einen eigenen Jugendverband durfte es ja nicht geben, hier galt der Alleinanspruch der FDJ. Wir arrangierten uns damit und machten doch irgendwie unser Ding.“ Im Jahr 1975 zum Beispiel leisten mehr als 15.000 Jugendrotkreuzler rund 560.000 Stunden im Pflege- und Sozialdienst. Außerdem wird im Rahmen der Zivilverteidigung die vormilitärische Ausbildung ausgebaut. Dieser Kurs ist so erfolgreich, dass 1974 fast 200.000 Jugendliche, mithin mehr als ein Drittel der DRK-Mitglieder, der Rotkreuzjugend angehören.

Also, das war ja eine revolutionäre Zeit. Und selbst im Roten Kreuz gab es kleine Revolutionen […] Wir waren politisch sehr aktiv. Wir haben sehr viel gemacht zum Thema Ausländerfeindlichkeit, Rechtsradikalismus, Aktionen dagegen, Gesundheitserziehung, politische Bildung, damals hieß es noch nicht so, aber das waren so erste Anregungen von Seiten der Damen bei uns zum Thema Genderfragen. […] Sehr aktive oder doch ständige Aktionen zum Thema Abrüstung, gegen Kindersoldaten, alles, was damals halt in der Friedensbewegung war.

Armin Bendersiebziger Jahre, DRK-West

Die internationale Einbindung

Eines der Ziele des Jugendrotkreuzes ist die „Arbeit für Frieden und Völkerverständigung“. So hat es schon früh den Albenaustausch deutscher JRK-Gruppen mit Jugendgruppen des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds weltweit gefördert. Auch die Zeitschrift Deutsche Jugend hat bis in die dreißiger Jahre immer auch über das Jugendrotkreuz anderer Länder berichtet.

Nach dem Wiederaufbau des JRK in den westlichen Besatzungszonen und später in den Bundesländern gibt es gemeinsame Jugendlager mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Daraus entwickeln sich dann sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene bilaterale Kontakte zu Jugendorganisationen von Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften in vielen Ländern.

Bundesweit bekannt sind die Zeltlager des Landesverbands Hessen am Edersee oder des Landesverbands Nordrhein in Bad Münstereifel. Zu den JRK-Bundeswettbewerben werden oft Gastgruppen aus dem Ausland eingeladen, mehrfach finden auch internationale Erste-Hilfe-Wettbewerbe statt. Bei den „Supercamps“ des JRK sind ebenfalls immer ausländische Gruppen dabei, umgekehrt nehmen deutsche JRK-Gruppen oder einzelne Mitglieder an internationalen Begegnungen teil.

Besonders spannend geraten bundesweite Projekte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit in Abstimmung mit der Föderation in Genf, wie etwa 1974 in Dahomey (heute Benin) oder später in Ruanda. Auch einzelne Landesverbände initiieren Aktionen, beispielsweise in Ghana oder im Norden Brasiliens. Viele JRKler erleben den Geist des Roten Kreuzes auch bei der Fiaccolata, dem Fackellauf von Solferino nach Castiglione, mit dem alljährlich an die Anfänge der Rotkreuzidee nach der Schlacht von Solferino erinnert wird.

In der DDR steigt in den achtziger Jahren die Zahl der internationalen Begegnungen wie auch die der deutsch-deutschen Jugendmaßnahmen. Obwohl dies in Zusammenarbeit mit der FDJ geschieht, ist es auch ein Ausdruck des wachsenden Selbstbewusstseins des Jugendrotkreuzes in der DDR.

Die Vereinigung des Jugendrotkreuzes in Deutschland

Mit dem Ende der DDR gerät dort jede Form von verordnetem gesellschaftlichem Engagement zunächst in Misskredit und damit auch das Jugendrotkreuz unter Druck. Auch durch den Wegfall der Unterstützung durch Schulen und Betriebe gehen die Mitgliederzahlen zurück. So verlassen noch 1989 in Ost-Berlin 4.200 junge Mitglieder das DRK.

Nachdem am 7. April 1990 ein Neuanfang gemacht und mit Prof. Dr. Christoph Brückner ein neuer Präsident frei gewählt worden ist, wird am 29. April das JRK der DDR gegründet. Engagiert versucht es einen Neuanfang – bis zu seiner baldigen Auflösung, ein für die dort aktiven Jugendlichen nicht einfacher Prozess. Vom 1. Januar 1991 an gehen alle DRK-Einheiten der früheren DDR im vereinigten Deutschen Roten Kreuz der vereinigten Bundesrepublik Deutschland auf.

Gemeinsam wird eine neue Ordnung für das Jugendrotkreuz erarbeitet, mit der zwar weitere Fortschritte hinsichtlich der demokratischen Strukturen innerhalb des Jugendverbands gegenüber der bisherigen Ordnung des bundesdeutschen JRK von 1974 erreicht werden, die aber in Teilen immer noch an alte Strukturen anknüpft. Erst mit einer nochmaligen Reform in den folgenden Jahren ist das Jugendrotkreuz nunmehr durchgängig basisdemokratisch aufgestellt. Seine Ziele bleiben bestehen, doch inhaltlich kommt es zu Änderungen. Anders als in der DDR herrschte in der Bundesrepublik lange Zeit die außerschulische Jugendarbeit vor. Heute nehmen auch Aktivitäten wie der Schulsanitätsdienst oder Projekte wie die „Humanitäre Schule“ wieder breiten Raum ein.

Unterstützen Sie jetzt ein Hilfsprojekt mit Ihrer Spende